Biographie

Dramatisch. Melodisch. Gut.

Schneewittchen lieben die voluminöse Geste und das große Gefühl

Die kolossale Lust am Verkleiden, wildes Make-Up und ausufernde Klamotten – das Theatralische und die große Geste sind bei Sängerin Marianne Iser und Tastenmann Thomas Duda, die gemeinsam Schneewittchen sind, immer dabei. Ihre Musik ist immer dramatisch, wie eine Opernarie. Immer ausdrucksstark melodisch, trotz einer gewissen Rauheit. Immer Liebeserklärung und Klage zugleich. Immer Breitwandformat. So signalisieren Schneewittchen von Beginn an etwas Außergewöhnliches. Ein Gesamtkunstwerk aus viel Musik, viel Vokalmagie, viel Theater und vollem Ernst.

Ehrlich und eindringlich

Schneewittchen halten sich nicht lange mit Zwischentönen und Nuancen auf. Marianne Iser und Thomas Duda kommen gleich auf den Punkt. Ehrlich und eindringlich lassen sie Noten und Buchstaben für sich sprechen. Dabei wird Sinnlichkeit in all ihren Facetten ausgelotet. „Und die sind dann nicht nur freudestrahlend schön und makellos“, weiß Marianne Iser, „unter der Oberfläche streiten auch Schwere und Schwärze um die Vorherrschaft. Fordern Triebe, Begierden und Leidenschaften ihren Platz. Sinnlichkeit beinhaltet auch ein gewisses Maß an Aggression und Militanz.“ Die große Triebkraft für all das, was Schneewittchen künstlerisch tun, ist ihr unstillbarer Hunger nach Leben. Und die pure Lust, dieses in ihren Liedern einzufangen und abzubilden. Doch dieses Tun im heute, hat seine Geschichte. Während Marianne Iser schon von Kindesbeinen immer ein Lied auf den Lippen hatte und stets etwas vorführen wollte, hat Thomas Duda zwischen vier und sieben Jahren Mozartarien inhaliert. „Bei unseren Nachbarn drehte sich Mozart ohne Unterlass auf dem Plattenteller und drang lautstark durch die Wand“, lacht er, „mich hat sofort das Dramatische und Tragische gepackt. Etwa bei Don Giovanni. Der Fröhlichkeit der schnellen Stücke habe ich immer misstraut.“ So kann es nicht ausbleiben, dass sein Klavierspiel überschwänglich wird und fortwährend einen Unterton von tragischer Ironie transportiert. Mit Marianne Iser hat er die ideale Partnerin für das sinnliche Zwiegespräch zwischen Stimme und Klavier gefunden. Ein Gespräch, dessen Inhalte schwärmerisch, schwarz und böse daherkommen. Aber auch eins, in dem sie sich immer wieder finden und immer wieder neu verlieren.

Schwarzer Schwan trifft weißen Schwan

Ein Gespräch, dem plötzlich auch andere aufmerksam lauschen. Etwa Bruno Kramm vom düsteren elektronisch-sinfonischem Musikprojekt Das Ich. Nachdem er Schneewittchen gehört hatte, nimmt er sie für sein Label unter Vertag. „So waren wir plötzlich in einer ganz anderen Spur“, erinnert sich Marianne Iser, „weg von den Kleinkunstbühnen, hin zu den düster-schwarzen Bühnen der Gothic-Szene. Da haben unsere ausdrucksstark-bildlichen Texte in Deutsch und unsere dramatische Musik so richtig gegriffen.“ Stolz, wie ein Schwan blicken Schneewittchen nach diesen Erfolgen auf die Welt. Wie ein schwarzer Schwan eben. Doch die Welt des weißen Schwans lässt nicht lange auf sich warten. Den kubanischen Choreographen und Direktor des „ballett magdeburg“, Gonzalo Galguera hat die Kunde von Schneewittchen ereilt. Die ganz und gar originelle und eigenwillige Ausdrucksform des Duos, die auf den ersten Blick skurril und schräg, dabei aber mit hohem ästhetischen Anspruch und tiefgründiger Poesie gepaart mit der aufregend gothicpopdurchtränkten Musik fordert den Tanz geradezu zum Dialog. Anlässlich des Zyklus tanz[t]räume bringen Gonzalo Galguera und Schneewittchen schließlich die extravagante Tanz-Konzert-Performance „Keine Schmerzen“ auf die Bühne.

Ein gutes Lied kommt überall durch

Wie ein gewaltiges Ausrufezeichen kommen die Stücke von Schneewittchen daher. Marianne Isers Stimme changiert zwischen wildem Schrei, einfühlsamem Gesang und zart hin gehauchten Tönen. Aber stets entschlossen. Auch in der Stille. Dabei wird jedoch nie die Melodie verraten. Auf der aktuellen CD „Keine Sekunde Schweigen“ wird der klangliche Horizont um ein Vielfaches ausgeweitet. Das Piano wird von einer Armada von elektronischen Tastenspielereien massiv unterstützt. Dann werden die Lieder durch üppige Streicher weiter mit melodischer Spannung aufgeladen. Auch ein Flügelhorn verleiht den Stücken weiteren Glanz und musikalische Wärme. Beides macht die Kompositionen von Schneewittchen großformatiger. „Das wirkt aber nur deshalb so gut, weil wir sehr genau wissen, das ein Lied erst einmal im Duo, nur mit Stimme und Piano akustisch funktionieren muss und durch poetische Präzision“, erklärt Thomas Duda, „ein gutes Lied, das emotional greift kommt überall durch und darf erst dann auf das große Format schielen.“ Schneewittchen-Lieder sind aufwühlende Ereignisse aus rauschhaften Melodien, die ihr Lebenselixier aus Klassik, Pop, Chanson und Rock gleichermaßen saugen. Schneewittchen geben den verwundeten, trostlosen und tieftraurigen Clown genau so, wie die bitterböse, mordlüsterne, unkalkulierbare Schwarze Witwe. Vom Publikum werden Schneewittchen für diese Stilmixtur heiß geliebt. In den Konzerten versammelt sich eine wilde Mischung von Menschen: solche, die sonst in der Oper anzutreffen sind, ebenso coole Jazzbegeisterte oder Schlagerfanatiker, dann Anhänger des harten Rocks, Gothic-Kuttenträger oder die Tänzer zu Poptönen. Für diese Vielfalt gibt es einen triftigen Grund.

Es sind die sensiblen, reduzierten Meisterwerke, in denen Schneewittchen dem Lied seine ursprüngliche Kraft und Frische zurückgeben. Dabei ist nichts gekünstelt. Schneewittchen legen den Hörern ihr Herz zu Füßen. Die Leidenschaft, die Zärtlichkeit, der Schmerz, das Drama – bei Schneewittchen ist alles echt.

Franz X.A. Zipperer